Newsletter Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt - B.I.E.N - Austria
> Newsletter Februar 2009
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Existenzsicherung vor Wachstum und Wirtschaftsförderung– Aktuelle Forderungen des Netzwerks Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt
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AMS-Sanktionen haben ausgedient-
Pressemitteilung von Runder_Tisch Grundeinkommen
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Sozialgeldtransfes - Grundeinkommen
Präsentation zweiter Studien und Diskussion mit EZA-ExpertInnen
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Grundeinkommens-Politik aus feministischer Perspektive
Schwerpunktausgabe der "Basic Income Studies" - Rezension
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"Gnadenlos gerecht" - neue "Reality Show" auf SAT1
"Sozialfahnder" forschen LeistungsbezieherInnen aus
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Wankende Hartz-IV-Front?
Hartz-IV-Regelleistungen für Kinder unter 14 Jahren sind verfassungswidrig
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Linzer Kunst-Uni-Rektor Kannonier für Grundeinkommen
Grundwert der Solidarität wenig im öffentlichen Bewusstsein
1. Existenzsicherung vor Wachstum und Wirtschaftsförderung Aktuelle Forderungen des Netzwerks Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt - weiter >>
2. AMS-Sanktionen haben ausgedient
Pressemitteilung von Runder_Tisch Grundeinkommen - weiter >>
3. Sozialgeldtransfers – Grundeinkommen
Präsentation zweier Studien und Diskussion mit EZA-ExpertInnen
Am 22. Jänner 2009 organisierte FIAN Österreich gemeinsam mit dem Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt – B.I.E.N. Austria eine Veranstaltung zum Thema "Sozialgeldtransfers aus menschenrechtlicher Sicht. Grundeinkommen - extraterritoriale Staatenpflichten".
Im Zentrum standen die Präsentation der Studie von Ralf Leonhard und Rolf Künnemann über Sozialgeldtransfers in den Ländern des Südens, sowie der neuesten Ergebnisse des Basic Income Grant Pilotprojekts in Otjivero, Namibia, durch Markus Schallhas . Die folgende Diskussion gemeinsam mit Manfred Schnitzer vom Außenministerium, sowie die zwei anschließenden Workshops brachten eine wertvolle Vertiefung der Bezüge zwischen den Konzepten.
Insbesondere die menschenrechtliche und völkerrechtliche Betrachtungsweise fand abermals eine Stärkung. Bedingungslosigkeit ist klar die wichtigste Gemeinsamkeit zwischen beiden Ansätzen.
Sozialgeldtransfers unterscheiden sich allerdings stark in deren Ausgestaltung. Wesentliche Erfolgsfaktoren, wie das Fehlen von Bedingungen, die Höhe, die Breite und die Transparenz der Vergabe entsprechen dabei jenen in der Vollversion eines Grundeinkommens.
Letztlich ist dieses ja auch nur ein spezieller Sozialgeldtransfer.
Künnemann, Rolf, Leonhard Ralf (2008): Sozialgeldtransfers und Milleniumsentwicklungsziele - eine menschenrechtliche Betrachtung. www.fian.de
Haarmann, Claudia, Haarmann, Dirk (Hg.) (2008): Towards a Basic Income Grant for all. Basic Income Grant Pilot Project. First Assessment Report. www.bignam.org
4. Grundeinkommens-Politik aus feministischer Perspektive
Schwerpunktausgabe der „Basic Income Studies“ – Rezension
Heft 3/2008 (Dez. 2008) der „Basic Income Studies“ ist zur Gänze der Frage einer Grundeinkommenspolitik aus feministischer Perspektive gewidmet. Ingrid Robeyns von der Universität Rotterdam – Gast-Herausgeberin des Bandes – befasst sich seit längerem mit möglichen Auswirkungen eines Grundeinkommens auf Gender-Gerechtigkeit und Emanzipationschancen von Frauen. Bereits im Sommer 2007 bedauerte sie in einem Gast-Vortrag im Rahmen der Heinrich Böll Stiftung in Berlin das Fehlen einer geschlechtersensiblen Diskussion in der Grundeinkommensliteratur, und kam zum Schluss, Grundeinkommen sei ein ungeeignetes Instrument für eine Strategie der Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, es sei denn, es würde ergänzt durch Maßnahmen zur Umverteilung von Pflege- und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern, einer Infragestellung der Geschlechter-Stereotypen und der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt.
Ähnlich Anca Gheaus in ihrem Heftbeitrag „Basic Income, Gender Justice and the Costs of Gender-Symmetrical Lifestyles“ (Grundeinkommen, Geschlechter-Gerechtigkeit und die Kosten eines für beide Geschlechter gleichen Lebensstils). Sie sieht gleichen („symmetrischen“) Lebensstil als Maßstab für Geschlechtergerechtigkeit. In diesem Zusammenhang rechnet sie damit, dass Grundeinkommen zu einer weiteren Entwertung von unbezahlter Pflege- und Familienarbeit führen würde. In einer von Macht-Ungleichheit zwischen den Geschlechtern geprägten Gesellschaft würde dies bedeuten, dass Frauen Grundeinkommen weniger als Stärkung ihrer Verhandlungsmacht nützen, sondern eher ihre Beteiligung am Arbeitsmarkt einschränken würden. „Ohne Änderung der geltenden Geschlechter-Normen und –Erwartungen würde die Einführung eines Grundeinkommens auf lange Sicht die Geschlechter-Ungleichheit verstärken“, wenn nicht gleichzeitig andere Mechanismen Platz greifen, die gegen diese Entwicklung wirken, wie insbesondere großzügige Einrichtungen der Kinderbetreuung, der Pflege für Kranke, Ältere und Behinderte, und eine Politik, die Männer ermutigt, sich im privaten Bereich zu engagieren. Erst in einer von Gleichheit und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern geprägten Welt könnte Grundeinkommen für die, die es wünschen, eine echte Wahlmöglichkeit eröffnen und vielleicht die unvermeidliche Spannung zwischen Geschlechtergerechtigkeit und Gerechtigkeit im liberalen Sinn abschwächen – so die Schlussfolgerung von Anca Gheaus.
Für Ingrid Robeyn ist es schon 2007 klar: Die Einführung eines Grundeinkommens muss im Zusammenhang mit Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen diskutiert werden. Sonst könnte man zu spät bemerken, dass es negative Auswirkungen auf die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen hat, und dass kein Geld mehr übrig bleibt für die Dinge, die für Frauen wichtig sind, wie Kinderbetreuungseinrichtungen und andere Maßnahmen, die Frauen für eine Berufskarriere benötigen.
Das gesamte Heft wird wohl zu weiteren Diskussionen herausfordern, was auch sein Zweck ist. Eine Frage bleibt dabei offen: ist der (immer wieder zitierte) schwedische Wohlfahrtsstaat das Vorbild jeder positiven Entwicklung? Zumindest, wenn wir an weltweite Gerechtigkeit und die Notwendigkeit eines anderen Umgangs mit unersetzlichen Ressourcen denken, muss auch gefragt werden: „Welche (Welt-)Gesellschaft wollen wir“? – und welchen Beitrag kann Grundeinkommen dazu leisten?
Basic Income Studies, An International Journal of Basic Income Research, Vol.3, Issue 3, December 2008.
The Berkeley Electronic Press.
Weitere Beiträge u.a.: Barbara A.Bergmann “Basic Income Grants or the Welfare State: Which Better Promotes Gender Equality?”; John Baker “All Things Considered, Should Feminists Embrace Basic Income?”; Almaz Zelleke “Institutionalizing the Universal Caretaker Through a Basic Income?”.
-wo-
5. “Gnadenlos gerecht” - neue „Reality Show“ auf SAT1
„Sozialfahnder“ forschen LeistungsbezieherInnen aus.
Die neue Reality-Show auf Sat1 – „Gnadenlos gerecht“ - dokumentiert die Arbeit von zwei „Sozialfahndern“ im Kreis Offenbach im deutschen Hessen, beschreibt Christina Kaindl in ihrem Beitrag für die Zeitschrift „arranca!“ dieses neue Fernsehformat.
„Sie belauern und befragen Leistungsbezieher, um sie des Bruchs von Vorschriften zu überführen oder um nicht angegebenes Eigentum oder zusätzliche Verdienste aufzudecken. Wie die einzelnen ‚Fälle' auf ihren Schreibtisch kommen, ist nicht immer klar - mehrfach werden schriftliche Denunziationen aus der Bevölkerung gezeigt. In diesen wird etwa behauptet, die Leistungsbezieher seien „seit Monaten in der Türkei“ oder der Lebensstil passe einfach nicht zum Bezug von Hartz IV. Dann werden die Fahnder aktiv – „wir müssen da hin“. Die Kamera immer dabei, obwohl man meist nur Nebel sieht, weil ohne die Zustimmung der Betroffenen nichts gezeigt werden kann, was auf ihre Identität hinweist. Also ist die meiste Zeit fast alles mit Weichzeichner hinterlegt – bis auf die beiden Sozialfahnder, die hölzerne Sätze zwischen sich hin- und herschieben. Und natürlich bis auf die Erfolgsgeschichten: wenn der Vater Alkoholiker ist, ist die Sozialfahnderin Frau Fürst auch mal großzügig und gewährt dem jungen Mann, obwohl er noch unter 25 ist, ein paar Euro für die eigene Wohnungseinrichtung. Nicht ohne zu kontrollieren, ob er sie auch richtig ausgegeben hat.“
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6. Wankende Hartz-IV-Front?
Hartz-IV-Regelleistungen für Kinder unter 14 Jahren sind verfassungswidrig
Die Hartz-IV-Regelleistungen für Kinder unter 14 Jahren sind verfassungswidrig. Das hat das Bundessozialgericht Ende Jänner 2009 festgestellt. Der Regelsatz für Kinder verstoße in mehrfacher Weise gegen das Gleichheitsgebot des deutschen Grundgesetzes, erklärten die Richter in Kassel. Der angerufene Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe muss nun über die Verfassungsmäßigkeit entscheiden.
Insgesamt fünf Kläger aus Dortmund und dem Landkreis Lindau am Bodensee hatten beim Sozialgericht geklagt. Sie beanstandeten, dass die 211 Euro, welche Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern bis zum Alter von 14 Jahren erhalten, das Existenzminimum nicht abdecke. Das Gericht entschied, dass der Gesetzgeber den Bedarf für Kinder nicht in ausreichendem Maße geprüft hätte.
Derzeit erhalten Kinder bis 14 Jahre, deren Eltern Arbeitslosengeld beanspruchen 60 Prozent der monatlichen Regelleistung von 351 Euro für ledige Erwachsene, also 211 Euro. Für Juli ist für Kinder zwischen sieben und 14 Jahren im Rahmen des zweiten Konjunkturpakets eine Erhöhung des Sozialgelds auf 70 Prozent geplant.
Das Bündnis gegen Kinderarmut durch Hartz IV hat Arbeitsminister Scholz aufgefordert, sich nach der Wiederanhebung des mit Hartz IV gekürzten Regelsatzes für Schulkinder unter 14 auch für die Wiederanhebung des gekürzten Regelsatzes von Jugendlichen einzusetzen. Dazu Martin Behrsing (Erwerbslosenforum Deutschland): "Den Anpassungsbedarf gibt es, denn 2005 wurde der Regelsatz von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren auf das Niveau des Regelsatzes für erwachsene Haushaltsangehörige gekürzt, von 90% auf nur noch 80% des Eckregelsatzes. Jugendliche haben jedoch aufgrund ihres Wachstums einen deutlich höheren Energiebedarf als Erwachsene."
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die in Deutschland anerkannte Instanz für Ernährungsfragen, geht für 14- bis 17-Jährige von einem Bedarf von durchschnittlich 2.700 kcal pro Tag aus, für Erwachsene von 2.200 kcal. Der Regelsatz von 14- bis 17-Jährigen muss also höher sein als der von erwachsenen Haushaltsangehörigen im Alter von 18 bis 64 Jahren. Deshalb fordert das Bündnis gegen Kinderarmut durch Hartz IV die Wiederanhebung des Regelsatzes für Jugendliche von 14 bis 17 auf derzeit 316 Euro statt 281 Euro.
Quelle: Die Presse, PR-sozial Aufruf >
7. Kunst-Uni-Rektor Kannonier für Grundeinkommen
Grundwert der Solidarität wenig im öffentlichen Bewusstsein
Im Interview mit der Linzer Kirchenzeitung hat sich der Rektor der Linzer Kunst-Universität Reinhard Kannonier für ein Grundeinkommen ausgesprochen.
Der Grundwert der Solidarität sei erstaunlich wenig im öffentlichen Bewusstsein. „Es ist alles auf individuelle Erfolgskarrieren ausgerichtet. Da steigt in Österreich die Armut, aber es ist kein Thema, was das für die Solidargemeinschaft bedeutet. Symbole sind eine der unterschätztesten Mittel, und das Grundeinkommen wäre so ein Symbol für die Solidarität.“ Kannonier sieht die individuelle Moral nicht losgelöst vom gesellschaftlichen Umfeld. In Zeiten der Verrohung gesellschaftlicher Sitten kommt der „innere Schweinehund“ leichter heraus. Die Verletzung bestimmter Werte(etwa NS-Wiederbetätigung) müsse daher sanktioniert werden.
Das ganze Interview über Eliten, Politik, Moral und Rechtsextremismus
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Dieser Newsletter ist unter Mitarbeit von Markus Schallhas und Lieselotte Wohlgenannt entstanden.